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„Den Blick auch auf verdrängte Opfergruppen richten.“

Neuer Gedenkstättenleiter vorgestellt

17.01.2024

Zus ehen ist Adreas Frösse an einem Rednerpult.
Andreas Froese als Wissenschaftlicher Volontär der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora bei der Gedenkveranstaltung zum 69. Jahrestag der Befreiung am Standort des ehemaligen KZ Ellrich-Juliushütte am 12. April 2014. Foto: Steffen Shah.

Der profilierte Historiker Andreas Froese hat zum 1. Januar 2024 die Leitung der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Nordhausen übernommen. Froese verfügt über einschlägige Erfahrungen in der bundesweiten Gedenkstättenarbeit. Zuletzt leitete er rund neun Jahre lang die Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe in Gardelegen (Sachsen-Anhalt), die unter seiner Ägide umfassend neu konzipiert wurde. In Nordhausen und der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora ist Froese indes kein Unbekannter: Von 2012 bis 2014 absolvierte er an der Gedenk­stätte ein Wissenschaftliches Volontariat.

Froese betonte heute bei einem Mediengespräch in Nordhausen die Bedeutung der Gedenk­stätte:

„Die Gedenkstätte ist regional, bundesweit und international für ihre hervorragende Forschung und Vermittlung bekannt. Sie verfügt über ein hohes fachliches Maß an historischer Dokumentation, an wissenschaftlicher und pädagogischer Expertise. Auf Basis dieses fundierten Wissens- und Erfahrungsschatzes eröffnet sich an diesem Lernort eine besondere Chance und Aufgabe, die Geschichte der national­sozialistischen KZ-Zwangsarbeit und ihre Nachwirkungen bis heute den Besuchenden anschaulich zugänglich zu machen.“

Der neue Gedenkstättenleiter wies aber auch auf einen tiefgreifenden Einschnitt hin, dem die Gedenkstätten gegenüberstehen:

„Gesamtgesellschaftlich sehen wir uns fast 80 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager mit dem Abschied von der Zeitzeugenschaft konfrontiert. Es wird für alle eine traurige Veränderung werden, irgendwann einen Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora ohne die Anwesenheit von Überlebenden begehen zu müssen: ohne die Möglichkeit zu direkten Gesprächen.“

Gleichzeitig erkennt Froese in der zunehmenden Digitalisierung eine Chance, um auch nach dem Ende der Zeitzeugenschaft den Forschungs-, Informations- und Vermittlungsauftrag zu erfüllen und damit zur erinnerungskulturellen Bildung und Orientierung in der Gesellschaft beizutragen.

Mit Blick auf die in Konzentrationslager deportierten Menschen sieht Froese immer noch viele Gruppen, deren Geschichten bislang wenig öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung fanden. Erst in jüngster Zeit habe sich beispielsweise der Blick vermehrt denjenigen zugewandt, die als vermeintlich „Kriminelle“ und „Asoziale“ verfolgt wurden:

„Gerne möchte ich mich insbesondere für eine differenzierte Würdigung derjenigen einsetzen, von denen bislang nur selten oder noch gar nicht die Rede war.“

Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, hob die umfassende Expertise hervor, die Froese in seine neue Tätigkeit einbringt:

„Mit Andreas Froese konnten wir einen Historiker gewinnen, der in herausragender Weise mit der Geschichte des KZ Mittelbau-Dora vertraut ist und zudem über­regional als wichtiger Experte für Gedenkstättenarbeit und transnationale Erinnerungskultur bekannt ist.“

Dies sei insbesondere mit Blick auf aktuelle Herausforderung besonders wichtig, so Wagner:

„Regelmäßige Angriffe auf die aufgeklärte Erinnerungskultur zeigen, dass der demokratische Grundkonsens unserer Gesellschaft akut gefährdet ist. Umso wichtiger ist, dass die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in diesen Zeiten mit Andreas Froese einen engagierten Streiter für einen kritischen, geschichts­bewussten Umgang mit der Vergangenheit an ihrer Spitze weiß.“

Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner und Gedenkstättenleiter Andreas Froese dankten zudem Anett Dremel, die in den vergangenen sieben Monaten die kommissarische Leitung der KZ-Gedenkstätte übernommen und diese hervorragend geführt hatte. Sie bleibt der Gedenk­stätte in ihrer bisherigen Funktion erhalten und wird die Gedenkstätte gemeinsam mit Andreas Froese als stellvertretende Leiterin und Leiterin der Dokumentationsstelle führen.

Das KZ Mittelbau-Dora steht exemplarisch für die Geschichte der KZ-Zwangsarbeit und der Untertageverlagerung von Rüstungsfertigung im Zweiten Weltkrieg. Heute ist die KZ-Gedenk­stätte Mittelbau-Dora in Nordhausen ein international bedeutender Bildungs- und Gedenkort. Sie wird jährlich von etwa 60.000 Menschen besucht und ist Teil der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora mit Sitz in Weimar.

 

Zur Person: Geboren 1979; Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Konstanz, Rom und Prag;  Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter in Konstanz und Prag; 2012-2014 Wissenschaftlicher Volontär KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora; 2014-2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter Stiftung Topographie des Terrors, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Berlin; 2014-2019 Freier Mitarbeiter KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, 2015-2023 Leiter der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe Gardelegen, seit 2024 Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Nationalsozialismus, insbes. Konzentrationslager, Zwangsarbeit und Todesmärsche

 

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