Dazu erklärt Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung:
„Dass wir uns mit einem Brief an die Wähler:innen in Thüringen wenden, ist in der Tat ungewöhnlich. Begründet ist das durch den Umstand, dass sich die AfD notorisch gegen die Erinnerungskultur wendet und unsere Arbeit als "Schuldkult" diskreditiert. Notorisch reden Vertreter:innen der AfD die NS-Verbrechen klein, relativieren sie oder betreiben Schuldumkehr, wenn sie die Alliierten als die eigentlichen Kriegsverbrecher bezeichnen, wie das etwa der Nordhäuser AfD-Politiker und Landtagskandidat Prophet machte, der den britischen Luftangriff auf Dresden mit Auschwitz gleichsetzte und den amerikanischen Befreiern des KZ Mittelbau-Dora "Morallosigkeit" vorwarf. Sein Thüringer Parteichef Höcke wiederum forderte bekanntlich eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad", und der AfD-Bundes-Ehrenvorsitzende Gauland bezeichnete die NS-Zeit in einer Rede in Thüringen als "Vogelschiss in über 1000 Jahren [sic!] erfolgreicher deutscher Geschichte". Der AfD-Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah wiederum lässt kaum eine Gelegenheit aus, die Wehrmachtsverbrechen zu leugnen und die SS zu verharmlosen. Das ging selbst den anderen rechtsextremen Parteien in Europa zu weit, weshalb sie die AfD-Abgeordneten aus ihrer Fraktion im europäischen Parlament ausschlossen.
Und nicht nur NS-Verharmlosung betreibt die AfD, sondern sie setzt auch positive Bezüge zum Nationalsozialismus, wenn sie sich etwa in ihrem Landtagswahlprogramm für Thüringen auf den radikalen Hitler-Bewunderer und Antisemiten Franz Langheinrich beruft oder wenn Björn Höcke in seinen Social-Media-Kanälen zustimmend ein Zitat von Arthur Moeller van den Bruck postet, der dem NS-Staat mit seinem Buch "Das Dritte Reich" den Namen gab. Maximilian Krahs Social-Media- Agent Erik Ahrens wiederum schrieb kürzlich: „Die Natur kennt keine Gleichheit und das Leben ist Kampf. Unsere Existenz ist ein Wettbewerb um Raum und Zeit, ein Wettbewerb zwischen […] Einzelnen und Völkern.“ Das ist nationalsozialistische Rhetorik und Ideologie im Reinformat.
Wenn eine Partei mit solchen Positionen in Regierungsverantwortung käme, wäre das ein schwerer Schlag gegen die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte, die eine wesentliche Grundlage unserer liberalen, auf Humanität und Menschenrechte setzenden Demokratie darstellt. Solche Positionen sind gegen den gesetzlich definierten Zweck unserer Stiftung gerichtet. Deshalb kann es hier keine Neutralität geben.
Vielmehr bin ich per Stiftungsgesetz verpflichtet, die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und die Opfer der NS-Verbrechen gegenüber solchen Angriffen zu schützen. Deshalb habe ich diesen Brief geschrieben. Die Hoffnung ist, dass er diejenigen, die nicht zur Wahl gehen wollen, ermuntert, doch zu wählen und Kandidat:innen ihre Stimme zu geben, denen die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen als Basis unseres demokratischen Miteinanders ein Anliegen ist.
Unser Brief richtet sich an alle Menschen in Thüringen in einem Alter von über 65 Jahren - Personen, von denen wir annehmen, dass sie eher weniger über Social Media erreichbar sind. Für den Versand des Briefes wurden keine Steuermittel und auch keine für die Gedenkstättenarbeit vorgesehenen Spenden verwendet, sondern ausschließlich Spendenmittel des Vereins campact, der auch den Versand über die Deutsche Post organisiert hat. Letztere hat Verteiler zu Haushalten bestimmter Zielgruppen; in diesem Fall die Gruppe Ü 65 in Thüringen. Wir selbst haben die Adressen der Menschen, die den Brief erhalten haben, nicht. Der Brief ist in einer Auflage von 350.000 Stück in ganz Thüringen versandt worden.“
(Stand: 5. November 2024)